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SIND SPITZNAMEN SPOTTNAMEN?
M.A.Galiullov (SamSIFL)
Spitznamen sind ein uraltes Phänomen. Die Menschen der Antike hatten zwei
Namen: einen echten Namen, den sie so selten wie möglich auszusprechen versuchten, da
sie befürchteten, dass böse Mächte ihn benutzen könnten, um Schaden anzurichten; der
zweite war für den allgemeinen Gebrauch bestimmt, den sie einer Person nicht gaben,
sondern “Spitznamen” – daher der Name des Phänomens –, Spitznamen, die in
verschiedenen Lebensabschnitten gegeben werden konnten und in vielen Fällen einem
ziemlich begrenzten Kreis von Menschen bekannt waren.
Spitznamen in Deutschland haben ihren Ursprung in der Tatsache, dass es in einem
Dorf viele Menschen mit demselben Nachnamen und Vornamen gab, und Spitznamen
wurden oft verwendet, um sie zu unterscheiden.
So wie keine zwei Fingerabdrücke gleich sind, sind auch keine zwei Menschen
gleich. Wir sind alle sehr unterschiedlich, sowohl äußerlich als auch innerlich. Wenn Kinder
heranwachsen, beginnen sie, diese Unterschiede zu bemerken und geben sich oft
gegenseitig unangenehme Spitznamen, was zu Tränen und Ärger führen kann. Hänseleien,
Spitznamen, verletzende Schimpfwörter, die fast immer ohne Logik und Sinn sind(wird
gemeint unter den Kindern), hören wir von frühester Kindheit an. Spitznamen sind ein
Mittel zur Festlegung von Verhaltensnormen unter Kindern und können nicht vermieden
werden, solange eine Gemeinschaft und ihre Traditionen bestehen. Neben dem Namen in
der Geburtsurkunde haben die meisten Kinder einen zweiten Namen, einen Spitznamen,
eine Art Taufe, die im schulischen Umfeld und auf der Straße häufiger vorkommt und sehr
hartnäckig ist und, wenn sie bestehen bleibt, den Träger eines bestimmten Namens für lange
Zeit begleitet.
Nicht übersehen sind soziale Bezüge. Sie bewirken Wandlung und Entwicklung.
Auch Lehrer in den Schulen sind nicht davor gefeit, mit Spitznamen bezeichnet zu werden,
doch sind diese oft freundlichen und netten Arten. Vielleicht erscheint es konstruiert und für
den Gegenstand zu hoch gegriffen, wenn – in nicht unbeträchlichen Teilbereichen-
Gesellschaftsordnung (Weltanschauung, Ideologie) und außerbürgerliche Namen in
Beziehung zueinander gesetzt werden. Aber wo sind in der BRD die Schüler, die es
“mordgierig” darauf anlegen, ihre Lehrer durch Spitznamen zu diffamieren, wo die Lehrer,
die ihre Schüler verunglimpfen, indem sie ihnen ehrenrührige Namen (wie
"Blubb"
weil es
bei ihm oft geblubbert hat oder
"Stups"
, weil er so klein war.) anhängen? Der Wandel, der
sich auf diesem Gebiet vollzogen hat, ist so unbestreitbar wie der Zusammenhang der
Vergabe oder Nichtvergabe von Spitznamen in der Schule mit dem Lehrer-Schüler-
Verhältnis und dem Verhältnis der Schüler untereinander. Ob der Stärkere den Schwächeren
tyrannisiert oder ob er ihm freundlich hilft, das ist für das Entstehen von Spitznamen
durchaus nicht einerlei.
Aber die Zeit, in der man einen Spitznamen bekommen kann, ist damit noch nicht zu
Ende. Und im Laufe der Jahre sind Spitznamen unvermeidlich, egal in welchem Bereich des
Lebens man aktiv ist (Sport, Politik, Wissenschaft usw.)
Die Erörterung bedürfen die Kausalen Zusammenhänge, die Motive und Absichten
der Namensgeber. es fällt schwer, den sozialen Hintergrund zu übersehen. Unter sozialen
Bedingungen treten Spott und Hohn als Beweggründe immer mehr zurück. Dazu gehören
Schimpfwörter, die die Furcht vor dem Übersinnlichen gebar. Sie führte vor langer Zeit in
vielen Dörfern dazu, dass sich Unwissende gegen einen, den sie mit übernatürlichen Kräften
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im Bunde glaubten, zusammenschlossen und ihn zuerst mit sprachlichen Mitteln aus ihrer
Gesellschaft ausstießen, indem sie ihn etwa als Hexen-Reichelt (das
n
ist
Kompositionsfuge), Teufels-Müller brandmarkten. Auch die nachfolgenden Generationen
behielten diese Namen und litten unter Isolierung und Boykott, obwohl die einstigen
Spuckgeschichten längst in Vergessenheit geraten waren.
Neues entwickelt sich in diesem Bereich nur zaghaft. Auf jeden Fall geht ihm der
gehässige Grundton ab. Beispielsweise pflegen die Schüler heute bestimmte Lehrer hinter
vorgehaltener Hand mit Vornamen zu nennen. Auch das Fachlehrsystem hinterlässt seine
Spuren:
Banana-Joe, Lord
usw.
Spitznamen deuten also auch in der öffentlichen Sphäre (wie in der privat-familiären)
zu beträchtlichen Teilen auf Sympathie und Achtung hin, die ihren Trägern
entgegengebracht werden.
Als Motive lassen sich weiter erkennen: die Notwendigkeit, Gleichnamige zu
unterscheiden <<
Vier verschiedene Familien namens Claus in einem sächsischen Dorf
wurden unterschieden als Leichenwagen Claus, Goldzahn Claus, Sauf-Claus, Kiesgruben-
Claus
>>, die Angleichung an die Gruppenform (es ist üblich, dass jedes Gruppenmitglied
einen Spitznamen hat), die Absicht, Typisches oder Auffallendes herauszustellen und damit
womöglich den bürgerlichen Namen (der der Natur widerspricht ) zu korrigieren, und-in
Zusammenhang damit-die Identifikation des Menschen mit seinem Tun (seinem Beruf,
seiner Nebenschäftigung, seinem Steckenpferd, seinen speziellen Kenntnissen und
Fähigkeiten). Beachtung gebührt vor allem den drei letztgenannten Gründen.
Gruppenformen der erwähnten Art bestehen mitunter in Schulklassen oder
Sportmannschaften.
In doppelter Hinsicht als Modell erweist sich Professor Unrat. Der Vorsatz,
Typisches zu erfassen (es kommt bei ihm allerdings erst spät ans Licht), verbindet sich mit
dem Bemühen, eine Synthese aus Form und Inhalt herzustellen, das heißt aus dem
vorhandenen Namen und der Aussage, die ihm untergelegt werden soll. Besonders gelungen
scheint das dort, wo Charakteristisches so in den bürgerlichen Namen, meist den
Familiennamen, eingewebt wurde, dass dessen bestimmende Klangelemente und dessen
Silbenanzahl erhalten blieben. Das führt dann zu Ähnlichkeitswortprägungen wie
Schimpansky
für einen langarmigen, behaarten Menschen namens Chemlansky,
Doktor
Fitzner
für den ständig in Eile und Aufregung befindlichen Dr.Bützner,
Konwhisky
für einen
Alkoholiker namens
Konwinsky
und
Murkswart
für den schlechten Fußballspieler
Munkwardt.
Eine Reihe Spitznamen sind Produkte des Augenblicks, einer komischen Situation.
Sie lassen sich im allgemeinen schwer deuten, denn meist kennt nur ein kleiner Kreis
Eingeweihter die zugehörige Entstehungsgeschichte. Weitergereicht wird der Name, ganz
selten mit ihm die Fabel.
Eine besondere Gruppe bilden karikierende Namen für Land und Leute, für den
einzelnen sowohl als auch für die Gesamtheit, wie
Onkel Sam
und
John Bull.
Über ihre
Herkunft gibt jedes Lexikon Auskunft. Der Völkerfreundschaftlich dient Fritz und Iwan
allenfalls im Zusammenhang mit einem entsprechenden Kontext.
Besonders viele Vorlagen lieferte die Tierwelt, wobei teils äußere Ähnlichkeiten,
teils Entsprechungen in den Lebensgewohnheiten, teils symbolhafte biologische Vergleiche
dazu anregten Benennungen für Tiere, wie
Bulle, Affe, Esel, Hamster, Maus, Uhu
usw,
entweder unverändert oder in mundartlicher Form- so
Aap
für Affe im Kölnischen und
Äsel
für Esel in Teilen Sachsen- auf Menschen zu übertragen.
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Ein unversiegbarer Quell für Übertragungen und Ableitungen sind ferner alle Arten
von Personennamen. Aus der Geschichte und ihren Nebenabteilungen (wie Kunst- und
Sportgeschichte), aus Sagen und Märchen, aus Literatur, aus Filmen und aus dem
Zeitgeschehen. z.B.im Original entlehnt man:
Schuhmacher, Napoleon, Hannibal, Einstein
.
Noch ein unendliches Reservoir der Spitznamen sind verbale oder substantivistische
Verbindungen mit Personennamen. Sie beziehen sich auf charakteristische Tätigkeiten, z.B.
Seeräuber- Jenny, O-Fuß-Ella
etc.
Im Allgemeinen geben Spitznamen nicht nur Aufschluss über die Zielperson,
sondern auch über die Einstellung des Verfassers des Spitznamens gegenüber dem „Opfer“.
Das Aufzwingen von Spitznamen und Benennungen findet in allen Lebensphasen eines
Menschen statt, von der Grundschule bis ins hohe Alter.
LITERATURVERZEICHNIS:
1. Kani Werner 1999, Inoffizielle Personennamen. Bildung. Bedeutung und
Funktion. Tübingen
2. Naumann Horst 1980, Normen bei Personennamen. Berlin
3. Harnisch Rüdiger 2011, Eigennamen als Grund und Mittel von Stigmatisierung
und Diskriminierung.